Donnerstag, Juli 17, 2025
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Gastronomie in Teilzeit: Freiheit oder Zwang?

Gastronomie in Teilzeit: Freiheit oder Zwang?Gastronomie in Teilzeit: Freiheit oder Zwang?

Teilzeit statt Vollzeit? Warum Freizeit für viele Beschäftigte wichtiger wird

Die Entscheidung für eine Teilzeit-Beschäftigung ist kein Ausnahmephänomen mehr. Immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland verzichten auf eine Vollzeit-Stelle, obwohl diese ein höheres Einkommen bringt. Das zeigt die Untersuchung der Unternehmensberatung The Stepstone Group unter dem Titel „Teilzeit für mehr Freizeit“. Demnach gaben fast 50 Prozent der Befragten an, sich aus freien Stücken für ein reduziertes Arbeitspensum entschieden zu haben, trotz finanzieller Einbußen. Hauptgrund: Der Wunsch nach mehr Freizeit, Selbstbestimmung und Lebensqualität. Wie stellt sich diese Entwicklung in der Gastronomie und Hotellerie dar, einer Branche, die mit langen Arbeitszeiten, geringer Bezahlung und hoher Belastung verbunden ist?

Teilzeit auf dem Vormarsch – aber nicht für alle Branchen gleich

Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen einen klaren Trend: Die klassische Vollzeitarbeit verliert für viele Beschäftigte an Attraktivität. Stattdessen rücken flexible Arbeitsmodelle, Arbeitszeitverkürzungen und individuelle Lebensgestaltung in den Vordergrund. In der Gastronomie und Hotellerie ist diese Entwicklung ambivalent. Einerseits existieren viele Teilzeitmodelle, Minijobs und flexible Schichten. Andererseits stellt sich die Frage, ob die Entscheidung zur Teilzeit freiwillig erfolgt oder eher eine Reaktion auf strukturelle Rahmenbedingungen ist.

Im Unterschied zu anderen Branchen, etwa der Industrie oder dem öffentlichen Dienst, sind die Löhne und Gehälter im Gastgewerbe vergleichsweise niedrig. Laut Statistischem Bundesamt lag das mittlere monatliche Bruttoeinkommen von Vollzeitkräften in der Gastronomie im Jahr 2024 bei rund 2.250 Euro, also deutlich unter dem gesamtdeutschen Median. Wer sich in dieser Branche für Teilzeit entscheidet, akzeptiert ein geringes Einkommen. Bei steigenden Lebenshaltungskosten, insbesondere für Miete, Energie und Lebensmittel, ist das ein bemerkenswerter Befund.

Warum Menschen in Hotellerie und Gastronomie trotzdem Teilzeit arbeiten

In Gesprächen mit Beschäftigten aus Küche, Service, Rezeption oder Housekeeping zeigt sich: Der Wunsch nach Freizeit spielt auch in dieser Branche eine wichtige Rolle. Viele Mitarbeitende berichten von hoher physischer und psychischer Belastung nach der Pandemie. Wochenenddienste, Nachtarbeit, kurzfristige Dienstplanänderungen und Personalmangel sorgen für Erschöpfung. Die Konsequenz: eine Vollzeitstelle ist für viele nicht tragbar.

Zudem ist bei jungen Mitarbeitenden ein Wertewandel spürbar. Während frühere Generationen bereit waren, über Jahre hinweg 50 bis 60 Stunden pro Woche zu arbeiten, um Karriere zu machen oder ein eigenes Lokal zu eröffnen, legen viele heute mehr Wert auf Work-Life-Balance, persönliche Entwicklung und mentale Gesundheit. Eine gewählte Teilzeitstelle ermöglicht es, Kraft zu schöpfen, familiären Verpflichtungen nachzukommen oder Zeit für sich zu haben. Selbst wenn das bedeutet, finanziell kürzerzutreten.

Ein weiterer Faktor ist der Mangel an flächendeckenden Tarifverträgen in der Branche. In vielen Betrieben gelten keine einheitlichen Arbeitsbedingungen, was zu Unsicherheiten bei Bezahlung, Zuschlägen und Urlaubsregelungen führt. Beschäftigte, die nur einen geringen Lohn erhalten, sehen wenig Anreiz, mehr Stunden zu leisten, wenn der finanzielle Zuwachs kaum spürbar ist oder durch Abgaben wieder kompensiert wird. Eine Teilzeitlösung bietet zumindest die Aussicht auf zeitliche Freiheit, wenn keine wirtschaftliche Stabilität.

Wenn ein Job nicht reicht: Teilzeit und stille Mehrfachbeschäftigung

Ein wachsendes Problem in der Gastronomie und Hotellerie ist, dass ein einziger Job oft nicht genügt, um den Lebensunterhalt zu sichern. Aufgrund der niedrigen Löhne – selbst bei Vollzeitanstellungen – und der unregelmäßigen Arbeitszeiten sind viele Beschäftigte gezwungen, mehrere Jobs parallel auszuüben. Besonders im Service-Bereich ist es üblich, bei Bedarf, also zu Stoßzeiten oder bei Events, eingeplant zu werden. Diese auf Abruf basierenden Teilzeitverhältnisse führen dazu, dass Mitarbeitende keine vollständige Wochenarbeitszeit erreichen und sich mit Zweit- oder Drittjobs über Wasser halten.

Diese Form der stillen Mehrfachbeschäftigung hat Konsequenzen: Die Belastung steigt, Erholungsphasen schrumpfen und die Planbarkeit des Alltags geht verloren. Gleichzeitig bleibt kaum Raum für Freizeit oder persönliche Entwicklung. Für die Betriebe ergibt sich daraus ebenfalls ein Nachteil. Denn wer ausgelaugt ist oder in verschiedenen Jobs wechselt, ist nicht in der Lage langfristig konstant hohe Qualität zu liefern noch echte Bindung zum Arbeitgeber aufzubauen.

Eine nachhaltige Personalpolitik sollte diesen Missstand ernst nehmen. Es reicht nicht, flexible Arbeitszeitmodelle anzubieten. Diese müssen mit verlässlichen Mindeststunden, fairer Bezahlung und Entwicklungsperspektiven kombiniert werden. Wer nur dann arbeitet, „wenn viel los ist“, bleibt ein Lückenfüller und nicht die qualifizierte Fachkraft von morgen, auf die die Branche angewiesen ist.

Branchenunterschiede: Freiwillige Teilzeit oder strukturelle Teilzeit?

Die Studie von The Stepstone Group unterscheidet zwischen „gewollter“ und „ungewollter“ Teilzeit. Während in akademischen oder kreativen Berufen ein selbstbestimmter Rückzug aus der Vollzeitstelle stattfindet, ist es in der Gastronomie und Hotellerie meistens ein Zwangskonstrukt. Viele Beschäftigte berichten, dass sie keine realistische Option auf eine Vollzeitanstellung haben, da eine steigende Anzahl von Betrieben vermehrt nur Teilzeitkräfte beschäftigen, um ihre Personalkosten flexibel zu halten. Oder weil familiäre Betreuungspflichten nicht mit den Arbeitszeiten der Branche vereinbar sind.

Gerade alleinerziehende Mütter und Väter, die in der Gastronomie arbeiten, sind auf reduzierte Arbeitszeiten angewiesen. Nicht aus persönlichem Wunsch, sondern weil keine Betreuungsangebote zu den unregelmäßigen Arbeitszeiten passen. Auch Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder älteren Angehörigen in Pflege sehen sich gezwungen, Teilzeit zu arbeiten, obwohl sie aus wirtschaftlichen Gründen lieber mehr arbeiten würden.

Betriebe stehen vor einem Dilemma – und müssen neu denken

Für Unternehmen in der Gastronomie und Hotellerie ergibt sich daraus ein doppeltes Problem. Einerseits fehlen vielerorts fehlen Vollzeitkräfte, die für Stabilität sorgen und Führungsaufgaben übernehmen können. Andererseits wird es schwieriger, qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen, wenn nur klassische Vollzeitmodelle angeboten werden. Die Antwort liegt in einer flexibleren Personalpolitik, die individuelle Lebensmodelle ernst nimmt und gleichzeitig faire, transparente und wirtschaftlich tragfähige Arbeitsbedingungen schafft.

Einige Vorreiter-Betriebe haben damit begonnen, freiwillige Teilzeitmodelle mit überdurchschnittlicher Bezahlung, klaren Dienstplänen und festen freien Tagen anzubieten. Sie berichten von höherer Zufriedenheit, geringerer Fluktuation und einem besseren Betriebsklima. Auch die Einführung der 4-Tage-Woche bei gleichbleibendem Gehalt wird vereinzelt erprobt, mit positiven Effekten auf Motivation und Produktivität.

Die Zukunft gehört flexiblen und fairen Arbeitsmodellen

Der gesellschaftliche Wunsch nach mehr Freizeit ist in allen Branchen, auch im Gastgewerbe, spürbar. Die Herausforderung liegt darin, die strukturellen Besonderheiten der Gastronomie mit den Erwartungen der Beschäftigten in Einklang zu bringen. Dafür braucht es transparente Löhne, verlässliche Arbeitszeiten, digitale Dienstplanung und eine neue Wertschätzungskultur. Wer heute Teilzeit wählt, entscheidet sich, nicht weniger zu leisten, sondern selbstbestimmter zu leben.

Damit Vollzeitstellen wieder attraktiv werden, müssen sie mehr bieten als nur Arbeitsstunden. Es braucht Perspektiven, Entwicklungsmöglichkeiten und einen klaren Ausgleich zwischen Beruf und Privatleben. Nur auf diese Weise kann die Branche dem Fachkräftemangel begegnen und langfristig bestehen.

Redaktion
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